Zwillingsparadox





23.06.2023


︎Ort

Entwurf: Manuel Müller

Team Ausführung/Produktion: Manuel Müller und Benedict Müller

Fotos: Manuel Müller, Veronica Theobald, Prof. Sybil Kohl

Betreuer*innen (Uni): Prof Sybil Kohl, Prof Sonja Nagel, Prof Martin Ostermann, Prof Jan Knippers

Als Ansatz für eine progressive Entwicklung der Gesellschaft gilt es, eine Veränderung der Planung, Produktion und Umsetzung gebauter Strukturen zu erforschen, indem das lokale Potenzial von Architektur erkannt und unterstützt wird. Als erster Punkt ist hier herauszuarbeiten, dass die grundsätzliche räumliche Gestalt, über den späteren Nutzen und die Definition von Raum entscheidet. Das Grundziel der Arbeit ist deshalb das Aufzeigen und Skizzieren einer möglichen Ausweitung des Architekturbegriffs auf dessen raumzeitliche Komponente.

Da aktuell viele problematische Entwicklungen unter anderem, auf der zu kurz gedachten, architektonischen Definition von Raum als starre, materialistische Umweltbedingung gründen, ist der Begriff „Raum“ essenzieller Teil der Arbeiten. Raum als Begriff und dessen Definition besitzt eine ambivalente, prozessuale Geschichte. Angefangen mit dem euklidischen, absoluten Raumbegriff und dessen späteren Auflösung durch Newton und den daraus entstehenden relativen Raum. Absolutes Raumdenken definiert Raum als unbewegliche, objektive Grundlage und Rahmenbedingung für menschliches Handeln, während im relativistischen Denken das Handeln unmittelbar mit der Produktion von Raum einhergeht. Der nächste Schritt in der Genealogie des Raumes ist die Erkenntnis, auf der meine eigenen Arbeiten aufbauen. Newton löste durch seine Gesetze der Mechanik, die den relativen Raum etablierten, die Vorstellung des Raumes als Container und abgeschlossenes Behältnis nicht auf. Erst Einstein kann mit der allgemeinen Relativitätstheorie eine physikalische Grundlage bilden, auf die sich die Philosophie stützt, um Raum nicht mehr getrennt von seiner

Zeitlichkeit zu begreifen. Er etabliert das Verständnis von Raum und Zeit als untrennbare, dynamische Größe, die Raumzeit. Hawking beschreibt dieses Phänomen anhand des Beispiels von Zwillingen, die indem Sie zur selben Zeit auf die Welt kamen per Definition gleich alt sind. Allerdings befinden sich beide in ihrer Raumzeit und können bei unterschiedlicher Geschwindigkeit und Relation zueinander unterschiedlich schnell altern. So wäre der Zwilling, der im Raumschiff von der Erde ins All flöge und wieder zurück käme nun jünger als sein Bruder. Hawking nennt dies das „Zwillingsparadoxon“.

Als Schlussfolgerung findet Martina Löw ihre zeitgenössische Definition von Raum: Eine „...relationale (An-)Ordnung sozialer Güter und Menschen.“ Diese wird konstituiert durch das Positionieren (Spacing) von Objekten und die Wahrnehmung (Synthese-Leistung) dieser. Jedoch endet auch sie mit der Forderung nach neuen Konzeptionen der Planung und des Entwerfens von Architektur bzw. Räumen, welche nur erreicht werden können durch eine Innovation der Werkzeuge zur Produktion von Raum.

Die Arbeiten sehen sich als Ansatz einer neuen Art Architektur zu denken. Eines der dabei verwendeten Werkzeuge ist der Bezug zum menschlichen Maß und die darin enthaltene Distanz zum Denkens in architektonischen Maßstäben. Als Planungsinstrument wird die aktuelle Open-Source Software „Blender“ eingesetzt. Ein Animationsprogramm, welches zum digitalen Modellieren und Visualisieren entwickelt wurde. Dieses Programm wurde dazu verwendet ein Entwurfswerkzeug zu entwickeln. Dazu habe ich im ersten Schritt die Körper von mir und meinem Zwillingsbruder auf Grundlage von Fotoaufnahmen digital modelliert und damit digitale Avatare gebildet. Im Folgeschritt wurden diese Figuren mit Skeletten erweitert, welche eine parametrische Verknüpfung zwischen den beweglichen Achsen über die sogenannter “Inverse Kinematics” erlaubt. Darüber können die Figuren räumlich animiert werden und Posen einnehmen. Im Prozess legt die digitale Charaktermodulation also das Maß des Entwurfs fest, während die Geste, das heißt die in der Bewegung enthaltenen Filmstills, die Form erzeugen.

Auf Grundlage einer Videoaufnahme von mir und meinem Zwilling habe ich mithilfe dieses Entwurfswerkzeug unser vertrautes Spiel räumlich animiert. Nun ist es möglich die räumlichen Filmstills in einer hohen Dichte zu überlagern und somit die zeitliche und räumliche Komponente zusammenzubringen. Dadurch entsteht eine starke Annäherung an unsere Körper innerhalb der Raumzeit. Die letzte Modellierung dieser eigenartigen Räume und Formen habe ich händisch - flächig mit dem Airbrush und räumlich als Plastik ausgearbeitet.